Sterbebegleitung

In all den Jahren …

… habe ich den Eindruck gewonnen, dass die innere Einstellung zu Tod und Weiterleben von ganz außerordentlicher Bedeutung ist. Im Moment unseres Todes stirbt unser Ego.
Das persönliche Ego bleibt in der diesseitigen Welt zurück und erinnert an unsere individuelle Persönlichkeit.
Für das Ego gibt es weder Trost noch Hoffnung.
Stirbt der Mensch, so stirbt sein Ego. Nur die Seele mit ihrem niedrigeren Aspekt im Gefühlskörper ist unsterblich. Deshalb klammert das “arme Ich” so sehr am Leben.
Jene, die nicht an die Seele glauben oder keine Vorstellung an ein jenseitiges Weiter­leben haben, ringen deshalb regelrecht um ihr Leben, um jeden einzelnen Atemzug.
Jene Menschen erkennt man daran, dass sie im Todeskampf sehr schwer atmen und keine Ruhe finden. Dieser Todeskampf zieht sich oft über Tage und Wochen.
Besonders tragisch ist das Abschalten von lebenserhaltenden Apparaturen, ohne dass der Patient darauf vorbereitet wird. Denn nach dem Abschalten der Geräte und dem daraus resultierenden physischen Tod fühlt sich der Patient so beflügelt, dass er sich auf der jenseitigen Ebene seine eigene Realität schafft, in der ersich selbst aus dem Krankenhaus entlässt und wieder in sein Alltagsleben zurückkehrt.
Auch Opfern von plötzlichen Unfällen, Flugzeugabstürzen oder Gewalttaten ergeht es selten anders.

 

 

Jene, für die das Weiterleben Verheißung bedeutet, gehen leicht und lösen sich sehr schnell.
Ich habe vor allem bei alten Leuten festgestellt, dass sie schon Monate vor ihrem physischen Todesdatum von verstorbenen Familienangehörigen umringt sind. Oft stellt sich bei dem noch Lebenden eine Art von “Altershellsichtigkeit” ein und er kann die Jenseitigen wahrnehmen und mit ihnen reden. Ist das der Fall, ist der nahtlose Übergang vom hier zum dort schon sicher.
Ich wünschte mir eine aufgeklärtere und herzlichere Haltung der Lebenden dem Sterben gegenüber, um das Abschiednehmen und Gehen nicht nur würdiger zu gestalten, sondern dem Gehenden tatsächlich hilfreich zur Seite zu stehen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Sterbende Körperkontakt immer als sehr wohltuend empfinden. Sie spüren, wenn man deren Hand nimmt, die Haut streichelt und sanft mit ihnen redet. In meiner Zwiesprache mit dieser Person blicke ich auf sein erfülltes Schicksal zurück, indem ich ihn an Episoden und Geschichten seines Lebens erinnere und versuche ihn auf das vorzubereiten, was ihn erwartet.
Weinende Familienangehörige am Bett machen es der Seele jedoch schwerer, den Körper zu verlassen.

Schön ist es, wenn in der Todesstunde die Fenster im Zimmer des Sterbenden weit geöffnet sind, um die Seele einzuladen, davon zu gehen.